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[OBF-410625-002-01]
Briefkorpus

Schmilka – Mittwoch, am 25. Juni 41.

Mein Herzlieb! Du mein lieber, guter [Roland]! Du!! Du!!!

Das war gestern ein bewegter Tag, sodaß ich garnicht dazu kam Dir zu schreiben. Aber Dein gedacht habe ich umso mehr, Herzlieb!! Frühmorgens ½ 8 bin ich raus aus den Federn, das heulen der Dampfschiffsirenen hatte ich munter gemacht. Schnell machte ich mich fertig zum Ausgehen, ich wollte Brötchen holen und Brot bei P.s vorn. Und Frau Sch. drückte mir den Milchkrug in die Hand. Na schön. So bin ich los, Deinen Weg, Herzlieb an der Elbe lang. Ach ist das schön morgens, wenn noch niemand einem begegnet. Als ich meine Einkäufe getätigt hatte, stieg ich gleich noch zur Postagentur rauf, um den Boten von meinem Herzlieb zu holen! Ja Du!!! Soooviel Sehnsucht hat Deine [Hilde] nach Dir! Und ich bekam auch einen! Den von Mittwoch 18. Juni. Ach Geliebter! Du!! Ich habe mich doch sooo gefreut, sooo lieb schreibst Du mir wieder! Ich danke Dir!

Aber nun mache ich mir auch Sorgen um Dich, Herzlieb! Dir ist nicht ganz gut, Du hast Kopfweh und Leibschmerzen. Du, Liebster! Ich bitte Dich, biete alle Vorsicht auf, die nur möglich ist. Werde mir nicht krank! Oh ich hielte das nicht aus hier zu sein, so weit von Dir! Ich will mir nicht übertrieben Sorge machen um Dich, mein Lieb, vielleicht ist heute, nach einer Woche schon alles wieder gut? Du!! Gott gebe es! Herzlieb! Du mußt mir versprechen übertrieben vorsichtig zu sein!! Denn die Anzeichen Deines Unwohlseins lassen auf eine Krankheit schließen, die mich sehr beunruhigt.

Nun will ich Dir weiter erzählen: Auf dem Rückweg von der Post traf ich den Herrn Lehrer K., der kommt von Schandau hierher als Vertretung. Er kennt Dich! Und wir unterhielten uns eine Weile, er kommt garnicht ganz hierher weil's so umständlich ist. Und er fragte mich auch gleich nach Dir, die Kinder haben erzählt, Du seist vermißt. Und er hat immer Anfragen von Pirna bekommen we[ge]n Deiner Adresse, der Lehrerbund habe Päckchen und Briefe oder Zeitungen zurückbekommen „Addressat unauffindbar“. Bis er zur Frau Sch. gelaufen ist, um sich meine Adresse zu erbitten, damit der Lehrerverbund an mich schreiben konnte. Nun, so kam es ja auch. Du wirst nun schon wieder hören von Pirna, man weiß doch jetzt Deine Nummer. Heute vormittag noch soll ich zu ihnen kommen und ihm Deine Anschrift bringen, er will mit den Kindern an Dich schreiben. Denke nur, die ich Dir hier aufzähle, waren alle nach Dir im Dienst oben an der Schule: Wittig–Benediz [unklar], ist ein Leutnant, der Arbeitsurlaub bekam und gleich seine Prüfung mit ablegte. Und zwar in Lichtenhain bei seiner alten Klasse. Kennst Du ihn? Er ist seit ½ Jahr verheiratet mit einer Bodenbacherin. Dann war ein Herr K. hier und nun Herr Kü. Die Kinder lernten überhaupt nichts mehr. Ja, das ist heute überall so. Sie mögen Euch nur bald wieder heim lassen! Du!!!

Besinnst Du Dich darauf? Frau H., die Schulhausbesorgerin erzählte uns doch voriges Jahr von ihrer zukünftigen Schwiegertochter und von ihrem Sohn, die beiden müßten heiraten! Ich habe gestern das Kindchen gesehn, ach war es süß! Die junge Mutter war ein sehr nettes, sauberes Mädel. Ich soll Dich von all den alten Bekannten vielmals und herzlichst grüßen!! S.s Wohnung steht leer, er ist im Krieg – sie hat man in Schandau zur Arbeit herangezogen. Ich bin bloß neugierig, wie lange man mich noch ungeschoren läßt! Alle sind verwundert, die hören, ich sei noch daheim bei den Eltern.

Dann kam der Mittag heran. Kurz vor 11 brachen wir auf, gingen die Landstraße nach Postelwitz zu, um dann auf dem Waldwege oberhalb zurückzugehen, der oben an der Schule hereinführt. Sind dann zur „Helvetia“ das Essen zu bestellen: Makkaroni mit Kompott und Suppe! Gestern war fleischlos!

Wir hatten vor, mit dem Dampfer um 1245 [Uhr] nach Schandau zu fahren. [*] Wollten bissel zum Abendbrot einkaufen und einiges mehr, was vielleicht noch ,zu haben' war! Und so begann die Fahrt planmäßig, bei herrlichem Wetter, heiß schien die Sonne! Du!! Ich bin schon soo braun. Wie eine knusprige Gans! Wenn Du hier wärst, würdest am Ende in die Versuchung kommen, mal tüchtig rein zu beißen! Wir stiefelten bis 3 Uhr, denn dann öffnen erst die Geschäfte, bissel in der Stadt rum. besichtigten [sic] uns die Kirche, vom Pfarrhof aus konnte man herein. Dann bin ich, es war ½ 3 Uhr zum Herrn Gehaltsrechner, um ihn zu veranlassen, Dir einmal über die letzten Ereignisse in seinem Fach Aufschluß zu geben, Deine Adresse wollte ich ihm geben, falls er die neue auch nicht weiß. Es war aber niemand da. Schade. Am Freitag früh wollen wir nach Lichtenhain, will ich's dann nochmal versuchen. Und nun pilgerten wir miteinander durch die Straßen, die vertrauten, die ich alle mit meinem Herzlieb schon ging. Ach Du!!! Du bist mir ja immer sooo gegenwärtig — ich m[u]ß immer, immer Dein denken, wohin ich auch gehe. Ich habe für mein Herzlieb etwas erstanden, ein kleines Geschenk noch zum Hochzeitstag. Aber ich mag es Dir garnicht schicken, weil ich denke, es kommt abhanden. Ich will Dir's aufheben Herzlieb, ja? Bis Du heimkommst. Ein Buch ist's – nicht das, was ich wünschte, es heißt: „Das unwandelbare Herz“ von [Lücke gelassen] es ist eine deutsche Familiengeschichte. Es muß seh[r] nett sein ein seiner Ausführung, soviel ich wegkriegte beim kurzen Überblick. Und noch etwas habe ich bekommen, was es zu Haus nicht mehr gab. Ich sag Dir's aber noch nicht Du!! Warte nur fein geduldig Herzlieb, ja? Die Postsperre muß ja bald wieder aufgehoben werden. Ach, wenn doch mein kleines Geschenk noch bis zum 13. Juli zu Dir käme, ich wäre ja so froh!

Ach mein Lieb! Wir wollen nur nicht traurig sein, wenn wir gerade am Hochzeitstag keine Nachricht, die eben für den Tag bestimmt ist[,] bekommen – wir wissen doch auch so, daß wir ganz lieb und innig aneinander denken – und an unserm Glücks- und Freudentag erst recht! Du!!!

Herzlieb! Heute früh bekam ich meinen Brief, den ersten, den ich von Schmilka aus an Dich richtete wieder zurück mit dem Vermerk: „zurück – Feldpostsperre“. Es hat also keinen Zweck, wenn ich irgend etwas absende. Wir müssen uns brav gedulden, bis alles wieder aufgehoben ist. Hoffentlich geschieht das recht bald!! Wir beiden Ungedulde!! Ach Du!! Du!!!!!

[H]eute kam kein Brief von Dir, Herzlieb. Ob denn die Feldpostsperre auch für Front-Heimat gesperrt ist? In der Zeitung stand aber ausdrücklich nur für Heimat-Front sei Sperre. Na, es ist nun auch gerecht! Wenn Du so lange warten mußt auf Nachricht von mir, dann kann die ungeduldige [Hilde] getrost auch auf den Hubo warten, ja Du? Liebster!!

Also von gestern wollte ich doch noch erzählen! Eingekauft haben wir von allem! Auch Filme hab ich für Dich, Dickerle! Erdbeeren, Radieschen, Schnittlauch in dem altbekannten Grünwarenladen von einst! Und dann aßen wir noch 2 fette Stücken Erdbeertorte, die in einem Bäckergeschäft ausgestellt standen. Die Kaffeepause war bei „Häntschel“ ausgemacht. Und wir machten uns alsbald auf die Beine dahin. An der Elbe lang liefen wir, herrlich! Aber heiß! Und nun hatten wir auch noch jedes [sic] 2 Taschen zu tragen. Puh!! „Sudigs'“, das Hotel am Wasser müssen noch immer die Volksdeutschen beherbergen; so eine Lumperei – die armen Leute werden sich auch nach einem richtigen Heime sehnen. Ist nun nahezu 1 Jahr, daß sie da hausen müssen.

Ja, kamen wir am Kaffee Häntschel an – geschlossen! „Heute Ruhetag!“ Darauf muß man jetzt überall und jeden Tag gefaßt sein, wenn man sich etwas vornimmt. War das eine Enttäuschung! Das sollte doch die Labung sein für den weiten Heimweg! Nun hieß es durchhalten bis heim! Und wir hatten großen Durst! Da kamen wir in Postelwitz zum Bäcker, wo wir Brot kauften, schon mit Dir kaufte ich Brot dort! Die nannte uns den Gasthof zu Postelwitz (Friebel) und da tranken wir uns erst mal richtig satt! Weiter ging's – bis zum Fleischer H.! Und die Meisterin war im Laden, sie kannte mich wieder, freute sich und fragte – fragte! Ich hab Dich ihr gleich mal bildlich vorgestellt! Viele, viele, liebe Grüße von ihr.

Jetzt muß ich Dir erst mal sagen, was mich eben bewegt: viele, unheimlich viele Züge fahren vorbei von Süd nach Ost. Beladen mit Soldaten und Geschützen und Fahrzeugen. Ölzüge und ich weiß garnicht, was sie noch mit sich führen. Seit wir da sind geht das Tag und Nacht! Ich glaube, mein Hubo wäre dauernd auf dem Posten! Damit er keinen verpaßt! Und ich gucke immer hin und winke! Aber nicht mit dem Bettuch! Und keinmal hält der Zug und keinmal steigt mein Hubo aus! Ach, wie ich warte!! Ja, die Meisterin H. gab uns also auf 100 gr Marken ½ M Wurst! Das ist verdammt anständig! Und ich hab mich mit der Hand bedankt und ihr gesagt, daß ich nochmal wiederkomme. Nun sind wir heim, müde waren wir auf die Beine. Nachdem wir uns frisch gemacht hatten, Abendbrot gehalten, bin ich nochmal vor zum Bürgermeister wegen der Wohnung. Nischt zu machen. Das ganze Dorf überfüllt! Und wenn schon mal irgendw[o] ‘was frei ist, dann nur 1-2 Tage. Es tut ihm selber leid, aber leider. P.'s wollten es so gerne möglich machen doch es klappt eben nicht. Sind alle Zimmer schon vorausbestellt. Da sagte mir Herr B. noch eine Frau, die frei hätte, allerdings wohnt die im 2. Haus wo Postelwitz anfängt also eine guute [sic] ½ Stunde – mit Mutsch – zu laufen. Wir sind gestern abend 9 Uhr noch hin. Es hat geklappt, auch für Deine Eltern hätte sie noch Platz gehabt. Ein neues, hübsches, sauberes Häusel. Wir haben halb zu gesagt. Der Mutsch ist es eben zu weit, wenn wir täglich zum Essen soo weit laufen müßten. Und nach Schandau ist's ebenso weit. Heute früh nun lädt uns Vater [Nordhoff] ein, mit nach Dehsa zu kommen, sie sind dort die Eltern. Und nun sind wir auch nach langem hin und her zu der Überzeugung gekommen, daß das das Gescheiteste ist. Denn mit Deinen Eltern wären wir zu gerne mal zusammen in diesem Urlaub. Wir fahren also nun am Sonnabend hier weg nach Dehsa.
 

Wir Reisetanten! Vorgenommen an Wanderungen haben wir uns nun nichts weiter; denn erstens kann die Mutsch nicht gut steigen, ihr tut bei jeder Bewegung der Rücken weh. Nicht mal bis zur kleinen Bastei Kahn Tülke konnte sie mit, schade! Und ich bin seit dem Sonntag krank, hab auch Schmerzen und mag mir große Touren nicht vornehmen. So haben wir diese Woche hier richtig verbummelt. Ist aber auch schön! Ich mache immer Sonnenbad und ruhe viel aus. Ich bin überall ganz fettig vom Öl, bitte entschuldige, wenn Flecken am Bogen sind, Dickerle! Heute haben wir Schreibtag, morgen wollen wir früh mit dem Schiff nach Bodenbach. Bissel einkaufen und für Frau H. in Lichtenhain ein Geburtstagsgeschenk kaufen. Die müssen wir nun am Freitag besuchen, am 30., ihrem Geburtstag sind wir nun in Dehsa. So siehst, Herzlieb, daß doch bei allein Nichtstun jeder Tag ausgefüllt ist. Von hier aus, von der Sommerfrische will ich ja auch allen Bekannten schreiben. Und heute paßt es, sonst keinen Tag mehr. Mein Herzlieb! So will ich Dir nun für heute die lieben Hände drücken! Du!! Ganz lieb und fest! Halte Dich schön! Werde mir nicht krank! Du!! Herzlieb! Der Herrgott behüte Dich mir!  Möchte er doch bald, bald das böse Kriegsunwetter vorbeiziehen lassen! Mein Liebstes bist Du! Herzallerliebster! In Gottes Schutz befehle ich Dich! Bei ihm ist alles gut. Er wird Dich mir erhalten! Du aber sei ganz lieb und innig gedrückt und von Herzen gegrüßt von Deiner Dich liebenden [Hilde]. Mein [Roland]! Du!!!!!

Mein Lieb!! Mein Sonnenschein! Du mein Glück! Du!!!!! Ich sehne mich nach Dir! Oh Du! Ich liebe Dich! Mein [Roland]! Ich behalte Dich immer ganz lieb! Viel liebe Grüße auch von Mutsch! Frau Sch.

 

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946