47.
Palmsonntag, am 29. März 1942.
Herzensschätzelein! Du mein herzliebes Mannerli!
Endlich kann ich zu Dir kommen! Du!!! Ich konnte Dir doch gestern garnicht schreiben Herzlieb, weil mein Programm über den Haufen geworfen wurde. Laß Dir nur gleich einmal erzählen. Sonnabend frühmorgens bin ich erst um 8 [Uhr] aufgestanden. Es war mir garnicht gut. Bei der Wäsche hab ich mir einen tüchtigen Schnupfen geholt, der sitzt mir wieder im Kopf und macht Beschwerden. Gleich trank ich Tee und nahm das einst vom Arzt verordnete Nasenöl. Es ist heute schon ein wenig besser. Die frische Luft tut mir gut, deshalb habe ich auch gestern gleich den Außendienst übernommen. Außer meinen (sonsit) sonstigen Wegen ging ich zu den Konfirmanden gratulieren. 3 waren es heuer, wo ich mich abfinden mußte. Und dann erfuhr ich noch am Sonnabend durch Tante Gretchen, daß auch Andreas aus der Schule kommt. Da bin ich auch noch gelaufen und habe ein Buch gekauft und gleich noch weggeschickt. Es ist ein zeitgeschichtliches Buch mit charakteristischen Illustrationen – für einen Jungen wie Andreas ganz gut – für mich ist es weniger interessant. Es wird ul ihm schon gefallen.
Die Mutter hat gestern noch die Betten überzogen und erst gelüftet, sie hat den ganzen Nachmittag damit zugebracht. Ich bin im Zimmer geblieben, damit ich nicht im Gegenzug stand. Als ich fertig war mit allem Zurichten für den Sonntag, klingelte es: Tante Herta mit den Jungen! Ach ja! Ich war ganz erschrocken – das ging ja ganz gegen mein Programm. Ihr Mann hatte Nachtwache im Geschäft und heute früh um 7 [Uhr] mußte er in Hartmannsdorf sein in der Staatlichen Kraftwagenhalle zur Reifenaufnahme. Er will heute Mittag nach Mittelfrohna kommen und seine Familie wieder mit heimnehmen. Weil Herta unverhofft kam mit den Buben, und fürchtete, Oma sei nicht vorbereitet mit Schlafgelegenheit, blieben sie bei uns über Nacht. Was blieb mir weiter übrig, als gute Miene machen zum Spiel? ½ 8 [Uhr] gingen die Kinder schlafen. Wir mußten ja auch noch baden! So gings eben hinter die spanische Wand. Spät ward es, ehe wir zu Bett kamen und ich fand nicht mehr Zeit, an Dich zu schreiben, Herzlieb. Heute früh sind wir um ½ 5 [Uhr] aufgestanden. Die Oma hatte meine Eltern gebeten mal zu helfen, im Fall es wird bissel Sonntagsbetrieb, weil Tante Friedel in Chemnitz bei ihrer Schwester Pate ist heute. So sind die Eltern heute früh mit M.s nach Mittelfrohna und ich bin in die Kirche zum Dienst.
Sag? Wann kommt denn Dein Patchen aus der Schule? Vergiß das nur nicht, mein [Roland]!
Ich hatte vom Roten Kreuz aus ebenfalls (außer dem Singen) Dienst in der Kirche. Zwei Verpflichtungen standen uns offen: am Tag der Wehrmacht, also gestern und heute, auf der Straße zu sammeln für's WHW, oder während der Konfirmation Ordnungsdienst zu tun. Weil ich einmal in die Kirche mußte, habe ich mich mit gemeldet. Noch zwei waren dabei, ein älterer Sanitäter und eine Helferin. Ich konnte mit dem Chohr Chor sitzen bleiben vom Pfarrer aus, die beiden anderen saßen unten auf den Seitenbänken. Die Kirche war heute bis zum letzten Platz gefüllt. Auf den Emporen standen sogar die Leute. Über 100 Konfirmanden wurden eingesegnet. Zwei sind umgefallen unten, sie erholten sich aber wieder. Bei mir im Revier blieb alles ohne Zwischenfall.
Die Dora lieh mir ihr Häubchen (Dora P.; sie hat mitgesammelt gestern und brauchte es heute nicht). Sonst trug ich einfach meinen Mantel, mit der Rot Kreuz-Armbinde. Sonst war die Konfirmation sehr schön, die Einsegnung erfolgte genau so wie immer, trotzdem B. ein Deutscher Christ ist. Was sollten die auch anstelle der alten Form neues bringen? Anschließend fand noch eine Abendmahlsfeier statt für die Väter, die nächsten Donnerstag schon wieder im Felde sind – es waren ihrer viele. Ich bin aber hineingegangen, für uns hatte es sich erledigt. ½ 11 [Uhr] war es. Und das schönste Wetter empfing uns draußen, Frühling will's nun werden! Zwar ist es noch stürmisch und kalt, doch die Sonne scheint warm.
Unsere Kantorei sang aus den Festglocken: „Der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre eure Herzen ….“ Es klang in den Männerstimmen recht dünn! Und denke, Herr F. (Malermeister) der einzige außer S. im Tenor, hat Bereitschaftsorder seit gestern. Ab 1. April muß er damit rechnen. Einer nach dem andern kommt weg. Vielleicht müssen wir auch eines Tages unsre Kantorei auflösen. Ich bin neugierig, wie lange der Pfarrer noch Galgenfrist hat. Ostern möchte er gerne noch da sein.
Mein Herzelein! Als ich heimkam heute Vormittag, da wartete doch schon mein Herzlieb im Kasten! Du!!! Und die Gertrud G. und der Schulrat T.! Ja ja! Du! Eine Freude über die andere! Geliebter! Laß mich Dir zuerst von Herzen Dank sagen für alle Deine treue Liebe! Oh Du! Mein Herzensschatz! Wie lieb, innig lieb hast Du mich doch! Du!! Und nachher will ich Dir auch Antwort geben, jetzt aber muß ich Dir erst mal von der Dienstsache sprechen. Herzelein! Während Du im Vorjahre bei mir weiltest in Urlaub, im September, hat es sich schon entschieden! Dein neuer Dienstbefehl ist am 20. September geschrieben. Du wirst ab 1. September 41 nach Königstein versetzt. Du! Damals wußten wir noch nichts, gelt? Deine alte Anschrift ist noch zu sehen: Kiel-Friedrichsort. Lange hat's gedauert! ,Der außerplanmäßige Lehrer‘, soll ich darunter verstehen, daß Du so genannt wirst, weil Du momentan in Heeresdiensten stehst? Ich will Dir alle zwei Schriftstücke beilegen, damit Du alles lesen kannst und mir erklären, gelt? Ich kann mich doch noch garnicht recht freuen, weil ich mit dem Schreiben vom Ministerium noch garnichts Rechtes anzufangen weiß, Du! Dein dummes Frauchen!
Jedenfalls ist das nun in unsren Händen, worauf Du schon lang wartest: die Antwort auf die Frage über das Reichsbesoldungsrecht. Wie Du nun eingestuft wirst und wie Deine Dienstjahre angerechnet werden. Wenn Du das Schriftstück in die Hände nimmst, dann wirst Du sofort wissen, was gemeint ist, ja? Und ich hoffe nur von Herzen, daß ich Dir mit dieser Nachricht eine rechte Osterfreude machen kann! Du!!!
Schreib mir nur dann gleich, wie ich das alles verstehen muß und wieviel Gutes oder Nachteiliges uns dadurch entsteht! Ich denke auch, daß es besser ist, wenn ich die Schriftstücken bei mir daheim aufbewahre dann, gelt?
Mein geliebtes Herzelein! Du! Es ist nun um 3 Uhr durch, ich sitze ganz allein am Tische und bin so ganz bei Dir. Du mein allerliebstes Mannerli! Heute Mittag mußte ich allein essen, ich hab soo Dein gedacht! Du! Ein Schnitzel briet ich mir, Blumenkohlgemüse mit Kartoffeln und Zitronencreme dazu. Das hätte Dir sicher auch geschmeckt! Anschließend habe ich alles sauber gemacht.
Nun, da ich so allein mit Dir bin, habe ich einen ganz großen Appetit auf etwas Süßes, Du!! Du!!!!! Herzelein! Weißt wie ich mir geholfen habe, Liebster? Ein Schüsselchen mit zuckersüßen, herrlichen Rosinen und feinen Mandeln steht vor mir – von meinem guten Mannerli sind sie!!! da lange ich immer mal hinein und denke an Dich! Und weiß doch genau, daß ein Kuß vom Mannerli die Süßigkeit und den Wohlgeschmack dieses Leckerli noch bei Weitem übertrifft! Oja!!! Bei aller Ferne kann ich mich darauf noch ganz genau besinnen! Du! Und ich muß doch heute noch ganz artig sein, bin ja noch krank, Herzlieb! Aber nur noch ganz klein wenig und Schmerzen habe ich nicht mehr. Ach Du! Gewiß spüre ich es, wie Du über die Ferne hinweg so lieb an mich denkst und mir tragen helfen möchtest in den bösen Tagen! Du! Mein guter lieber, liebster Kamerad! Gewiß kommt mir daher alle Kraft und innere Fröhlichkeit, Du Allerliebster!
Ach, Du hältst mich so ganz fest, Du mein Geliebter! Halte mich immer so fest – ich will Dich auch ganz lieb festhalten, mein Geliebter! Sooo glücklich macht das Geborgensein! Sooo sehr glücklich! Oh Du!!!!! Ach, wir möchten doch sooo gerne für immer beisammen sein, immer umeinander sein und einander ganz festhalten! Wir sehnen uns sooo sehr nach des anderen Nähe – sooo sehr! Sie ist uns doch das Kostbarste! Deine Nähe ist mir kostbarer als alles andre. Wir müssen uns gedulden noch, Herzelein! Und wüßten wir nicht, daß wir einander doch der Allernächste sind, des Herzens Vertrautester – mein Herzensmannerli – ach, wir könnten traurig darüber werden. Oh Geliebter! Wüßten wir das nicht, so fest und so gewiß, wir müßten bangen umeinander. Aber so wissen wir mit unumstößlicher tiefer Gewißheit: wir sind einander ans Herz gegeben, zu Eigen geworden bis in den Tod! Oh köstliche, herrliche Gewißheit! Ich liebe Dich! Du liebst mich! Geliebter! Oh welch beglückendes, beseligendes Wissen: Du bist mein! Du bist so ganz mein – mein! Du! Ach, Du magst meinen Jubel kaum ermessen, Geliebter, der darum in meinem Herzen ist! Ich kann Dir mein Glück doch nur niederschreiben – Kann Dir's nicht bezeigen, kann Dir's nicht leben, Du! Aber Du mußt es trotzdem fühlen und wissen! Mußt es spüren, wie so mächtig Deine Liebe mich erfüllt hat und zutiefst angerührt im Innern, Du! Du bist mein Schicksal, bist meine Welt, bist mein Ein und Alles, Mittelpunkt meines Lebens! Du!
Herzelein! Reine, große Herzensliebe strahlt in uns und um uns, wir sind ganz glücklich miteinander. Und zu unsres Glückes Vollkommenheit fehlt uns nur: daß wir einander nahe sein könnten! Daß wir füreinander leben könnten, schaffen könnten. Du! Ach Du!
Ich muß noch einmal von dem reden, was Dich zu meinem Dienst im Roten Kreuz bewegt. Mein Herzelein, Du! In Deinem Sonnabendboten antwortest Du mir auf mein Fragen und Du bittest mich um Nachsicht und Geduld. Geliebter! Ich weiß doch, alles was Du mir sagst, es geschieht aus tiefster Liebe heraus und aus dem Willen, mir vollstes Verständnis entgegenzubringen. Und das danke ich Dir. Mein Einspringen am Sonntag zum Transport verstehst Du. Und nun meinst Du aber, daß in diesem Gange eine Zwangsläufigkeit liegt; indem man immer aktiver in Beschlag genommen wird. Das ist nicht der Fall. Wenn ich meinen Kursus mit der Prüfung abgeschlossen habe, dann bin ich eine „Helferin“, insofern ich mich zur Bereitschaft erkläre. Das besagt, daß ich nur ganz geringe Kenntnisse besitze und nicht an jeden Platz gestellt werden kann. Für einen Dienst im Lazarett komme ich nicht in Frage, wie ich von zuständiger Stelle weiß; dann muß ich erst den zweiten Kursus abgelegt haben als „Schwestern-Helferin“. Den werde ich nicht absolvieren. Wir Bereitschaftshelferinnen sind nur zum „Außendienst“ sozusagen bestimmt.
Herzlieb! Ich verstehe Deine Bitte ganz recht, mich nicht als Schwester in einem Lazarett zu melden. Ich will das ja auch nicht. Und darüber brauchen wir gar kein Wort mehr zu verlieren. Das kommt nicht in Betracht. Selbst wenn in Zukunft die Lazarette so überfüllt und der Bedarf an Schwestern so hoch wäre, daß man die Kursusteilnehmerinnen anginge einzuspringen, ich tät es nicht, aus dem einen Grund: ich bin verheiratet und habe andere Pflichten, es gibt dazu genug ledige Mädchen, die ihren Dienst zu besserer Zufriedenheit ausführen werden. Als richtige Schwester muß man frei sein.
Und ich bin dabei ganz verständig, Herzlieb! Bin nicht im Innersten voll Unmut oder Groll – nein. Ich sehe ein, das ist unmöglich.
Ach, alles wäre doch überhaupt nicht, wenn Du bei mir sein könntest, wenn kein Krieg gekommen wäre! Und in Friedenszeiten hätte ich mich auch nicht um die Bereitschaft des DRK gekümmert; denn da waren genug Leute vorhanden, alte erfahrene Leute, die jetzt zumeist aktiv betätigt sind. Und darum muß der Bestand aufgefüllt werden.
Herzlieb! Von meinem Standpunkt aus gesehen kann ich es auf mich nehmen, der Pflicht der Bereitschaft nach zu kommen. Wenn es wirklich dabei bleibt, daß nur aller paar Wochen einige Stunden Dienst verlangt werden. Und ich glaube auch nicht, daß es anders wird. Weil wir so viele sind in den Ortsteilen um Oberfrohna. Ich habe mal gezählt, wenn Dr. H. Vortrag hält und die Rußdorfer, Bräunsdorfer und Niederfrohnaer mit da sind: über 50 Mädel, es fehlten noch welche. Da kommt auf jeden nicht viel.
Herzlieb! Weißt Du was mir keine Ruhe gibt? Mein Ehrgefühl. Was andere, voll berufstätige Mädel können, das kann ich auch. Ich will nicht, daß eine sagen kann sie sei mir in Leistung und Einsatz voraus. Mußt mich recht verstehen, Herzelein! Das natürlich in Grenzen und mit Unterschied! Ich bin verheiratet. Ich leiste dies und jenes obendrein. Kantorei, das ist keine schwere Arbeit, das Singen ist eine Entspannung und Freude. Der Dienst geschieht mehr aus der Liebe zur Musik – bei mir – als der Verpflichtung dem Verein und dem Pfarrer gegenüber. Kinderschar – ich habe sie nicht freiwillig erworben. Aber sie ist mir lieb geworden schon – bei allem Undank manchmal – weil ich die Kinder gern habe und weil es mir Freude macht; nicht wie meiner Nachbarin: Kopfschmerzen. Frauenwerk. Herzlieb, Du! Das mußt Du Dir nicht so drastisch vorstellen. Hier handelt es sich nur um meine Beiträge, glaub mir! Um das äußere Schild. Ich gehe nicht zu den Zusammenkünften, Du weißt wie ich schon von jeher dagegen war. Und der Haushalt. Du! Es ist ja nicht mein Eigen! Ich will damit nur sagen, daß ich keine volle Verantwortung trage, ich unterstehe der Mutter. Und wie sie will wird es gemacht. Ich bin nicht undankbar, oh nein! Aber schön ist es nicht für mich, die ich doch nun ein Eigenes darstelle mit Dir und meine Pläne und Wünsche habe und es ist ja das Elternhaus, wo ich mich befinde. Weißt, eine Aufgabe die mich erfüllt ist es nicht, weil immer der Wunsch und der Wille in mir lebt: so würdest Du es für den Allerliebsten richten und nicht anders. Es ist mein, meine Heimat, wo ich mich bewege und doch auch nicht. Weil Du mir fehlst darinnen! Du! Ich bin doch nur das Kind noch, das fühle ich.
Ach Du! Glaub mir, es ist nur die Unrast, die Unruhe in mir, die mich umhertreibt. Und ich kann nicht still sitzen solang und alles an mich herankommen lassen, auch den Frieden und Deine Heimkehr. Ach Du! Verstehst Du das denn, Du?! An der Schwelle zum gemeinsamen Leben riß uns dieser Krieg auseinander, ach es ist traurig daran zu denken. Und es bleibt uns keine andere Möglichkeit, als den rechten Weg zu erkennen, den besten für uns.
Geliebter! Du meinst, ich sei drauf und dran die Freiheit, die ich noch habe aufzugeben. Vielleicht hast Du recht. Ich ermesse nur die Tragweite meines Beginnens noch nicht. Diesen Anspruch auf Freiheit wird uns die Öffentlichkeit oder der Staat nie zubilligen – o ich weiß – den müssen wir selber vertreten. Da lebe ich und stehe nun mitten in einer Welt, die nichts kennt als Arbeit und Pflicht, es ist kein Wunder, daß ich mich noch reich an Freiheit dünke und mich mehr und mehr verausgabe. In unsrer Familie schon kennt man nichts als Arbeit und Pflicht, den besseren Teil des Lebens habe ich erst durch Dich, mit Dir erleben gelernt. Und nun, wo Du nicht bei mir bist, da will sich mir das eiserne Muß wieder aufdrängen. Manchmal schäme ich mich sogar im Herzen vor der Mutter, daß ich sie arbeiten lasse und aus ihrem Reich verdränge. Aber – tu ich denn das? Mutter hat schon immer gearbeitet und ich früher mit, und jetzt ist sie froh, daß ich ihr die Lasten des Haushaltführens abnehme.
Ach Du! So setze ich mich nun manchmal mit mir selber innerlich auseinander. Und komme zu keiner Lösung. Alle Schuld hat der unselige Krieg, er warf alles Planen übereinander. Und ich weiß, je mehr ich Ämter annehme, umso weniger Zeit bleibt mir. Es ist eben ein undankbares Ding, vieler Herren Diener zu sein. Die einzelne Leistung fällt niemandem recht ins Auge und wird sicher verkannt. Und ich meine, mich noch mehr einsetzen zu müssen. Wenn ich doch nicht so empfindlich wäre. Ich fühle so bedrückend, wie man mir allerwärts mißgönnt, daß ich zuhause sein darf. Und es ist mir immer, als müsse ich mich vor den fordernden Blicken all rechtfertigen. Das ist nicht Feigheit, nein. Es ist – es kränkt meinen Ehrgeiz. Und ich kann nicht stolz sein, wenn andre sich abrackern. Gewiß ich bin einfältig, es laufen neben mir noch hunderte herum, die heute noch keinen Finger rühren und dabei nicht rot werden vor Scham. Ich brauche da garnicht weit zu gehen im Orte. Aber ich bin nun mal so. Und darum bin ich auch der Bitte des Pfarrers nachgekommen, Herzlieb!
Es ist mein Fehler, ich weiß es: ich bin viel zu gut. Und ich weiß auch: allzu gut ist dumm und liederlich. Und ich lasse mich so gerne von Dir eines Besseren belehren, ich nehme Deinen Rat an, Du bist erfahren und reifer dem Leben gegenüber. Ach, ich ergebe mich so ganz in Deine Liebe, Deinen Schutz, Deine Fürsorge und Einsicht. Ach Herzelein! Und wenn Du ganz bei mir bist, für immer, dann kannst Du Dich gleich immer beizeiten einschalten wenn ich einmal in Konflikt komme mit mir und der Welt. Du gutes, liebes Mannerli! Du!
Ach Du! Ich verstehe all Deine Gedanken so gut, die Du mir zu all meinen Fragen sagst! Und am allermeisten erkenne ich doch, daß nur Liebe, innige Liebe allein es ist, die Dich treibt, mir zu helfen. Ach Geliebter! Wenn Du bei mir wärest heute und wir könnten uns einmal ganz in Ruhe aussprechen. Ach – wenn Du doch nimmer fort müßtest von mir! Du! Ach Du! Wir müssen es uns so schwer machen das Leben, weil wir es eben nicht unbesehen hinnehmen können. Und Du bist noch gründlicher und auch mißtrauischer als ich allen Dingen gegenüber. Ich bin oft zu gut, das ist mein Fehler. Du, Geliebter wirst ihn überwachen helfen und ich aus meiner großen Liebe zu Dir, helfe Dir dabei! Ich möchte Dich doch nicht betrüben! Oh mein [Roland]! Du weißt ja, wie unendlich ich Dich liebe! Über alles! Und ich will Dich nie, nie, oh nimmermehr verlieren. Du! Hast Du mir denn zugehört, Herzelein? Ach Du! Wie schwach sind wir Menschen doch, daß wir nicht bedingungslos Gott vertrauen können, daß wir uns sorgen! Wie unvollkommen auch, daß wir uns bei aller Liebe Schmerz zufügen müssen. Ach, Herzlieb mein! Weil wir einander zu sehr liebhaben, darum spüren wir die Härte des Lebens so sehr. Die Härte unsrer Zeit und die Steine, die überall liegen wie große Hindernisse. Die Liebe ist so groß, ist zu groß in uns. Das kann bei allem Glück auch zum Schmerz führen.
Oh Du! [Roland], mein [Roland]! Ich wollte die Liebe nicht anders! Ich will sie so tief, so schmerzlich, auch so ganz und entschieden. Oh ich bin glücklich mit Dir unsrer Liebe!
Für heute leb wohl! Du! Gott sei mit Dir!
Ich bleibe in alle Ewigkeit Deine [Hilde], Dein.
Hilde Nordhoff
Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.
Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946
Alexander D. und Ulrike L.
Zusammenfassung des Briefes:
• [Hilde] entscheidet sich gegen die Teilnahme am Spendensammeln für das Winterhilfswerk anläßlich des Tages der Wehrmacht (28.-29.3.1942) um ihren Dienst in der Kirche zu tun.
• [Hilde] stellt fest, dass immer mehr Männer die sog. Bereitschaftsorder bekommen.
• [Hilde] versichert [Roland], dass sie für das Rote Kreuz niemals mehr als nur Bereitschaftsdienst als „Helferin“ machen werde.
• [Hilde] stellt ihre Beteiligung am Frauenwerk (DFW) als „äußeres Schild“ dar, d.h. als formal und ohne politische Überzeugung.